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Abschaffung der Reg. Lehrerfortbildung? (2003)

 

Anmerkungen zur Abschaffung der Regionalen Lehrerfortbil­dung in Niedersachsen (2003)
(Positionspapier des RPZ Aurich - seinerzeit mit großer Verbreitung und Akzeptanz in Niedersachsen diskutiert; vgl. den Artikel von Michael Strohschein in: www.gew-nds.de/E_W/Lehrerfortbildungen.pdf. Erneut veröffentlicht in: Leuchtturm, Zeitschrift der GEW in Ost-Friesland, Nr. 96, Januar 2007, Sonderheft zum Thema "Ist das RPZ gefährdet?? Eine Dokumentation", S. 8-9)

 

Was geplant ist:

Am 9. September 2003 teilte Herr Schillig, MK, Referatsgruppe I "Innovationen" (Leiter: Brock­mann), den zu einer Dienstbesprechung zusammengerufenen 16 Regionalen Fort­bildungsbe­auf­tragten das Ende der Regionalen Lehrerfortbildung in der bisherigen Form mit. Zum Schuljahres­be­ginn im Herbst nächsten Jahres sollen die Fortbildungsbe­auftragten wieder in den Schuldienst zurückkeh­ren.

Man geht davon aus, dass die Themen der Fortbildung in Zukunft von einer zentra­len Agentur / Einrichtung (NLI-Nachfolge) in Hanno­ver ausge­schrieben und die Durchfüh­rung in den Regionen dann an zertifizierte und preis­günstige "freie Anbieter" verge­ben werden. Außerdem sollen die "auto­nomen"/"selbstständigen"/"eigenverantwortlichen" Schu­len ein Budget erhalten, aus dem sie selbst Fortbildung einkaufen können. Die Verträge zu den beiden Fortbildungs-Sonderformen RPZ Aurich (Koordinationsbüro für Regionale Fortbildung) und OFZ, Universität Oldenburg, sollen entspre­chend bis Jahresende ebenfalls gekündigt werden. Diese sollen sich dann im "Konkur­renz­kampf" bewähren.

 

Zu fragen ist, ob die Prämissen dieses Konzepts tragfähig oder plausibel sind:

 

1.  Unterstellt wird, dass die Neuorganisation zur Einsparung "unproduktiver" Verwaltungsstellen führt, weil die Fortbildungsbeauftragten wieder in die Schulen zurück kehren. Die Verwaltungs­kräfte sind wieder auf Bezirksebene einzugliedern und werden nicht mehr dem MK (Einzelplan 07) zugerechnet, können aber nur in Einzelfällen entlassen werden.

Kritik: Durch die Rückkehr der Fortbildungsbeauftragten in die Schulen werden dort landesweit 13 Vollzeitstellen besetzt. Bei Wegfall der informierenden, aktivierenden und koordinierenden Funktion der Fortbildungsbeauftragten auf regionaler Ebene müssen jedoch an allen Schulen Kapazitäten geschaffen werden, die diese Funktionen "vor Ort" sicher stellen.

Hierzu wurden an den berufsbilden­den Schulen schon vor einem Jahr Fortbildungsbeauftragte benannt (die sich aber sehr schnell unter dem Dach des RPZ zu einer "Einkaufsgenossenschaft" zusammenschlossen, um effizienter zu arbeiten!). Vergleichbare Kapazitäten werden zumindest an größeren Systemen der allgemein bildenden Schu­len ebenfalls nötig werden. Legt man für die Fortbildungsregion Ost­friesland ca. 100 größere Schul­systeme zugrunde und unterstellt ein Minimum von durchschnittlich zwei Anrechnungs­stunden für diese Funktion, dann vervielfacht sich die für die Fortbildungsorganisa­tion auf regiona­ler Ebene eingesetzte Lehrerarbeitszeit mindestens um den Faktor 10!

So wichtig die Übernahme von Qualitätsverantwortung durch die Einzelschule ist, so unrealistisch ist die Annahme, dass die gesamte Organisation von Qualitätsentwicklung inkl. der Aufstellung und Abwicklung eines Fortbildungs- oder Qualifizierungskonzepts "nebenbei" durch die Schulleitung erfolgen kann.

 

2.  Wenn - so die zweite Prämisse - die Einrichtungen der Erwachsenenbildung als "freie Anbieter" die Lehrerfortbildung mit übernehmen, kann sich die Schulverwaltung die Unterhaltung eines kost­spieligen Fortbildungsapparats ersparen, weil alle Organisationskosten abgewälzt werden können. Als freie Anbieter sollen sich auch die Sonderformen RPZ Aurich und OFZ Oldenburg der Konkurrenz stellen.

Kritik: Das NLI hat vor einiger Zeit eine erste Kooperationsvereinbarung mit dem Landesverband der Volks­hochschulen geschlossen, die den freien Anbietern gewissermaßen den Weg ebnete. Das RPZ hat keine Angst vor solcher Konkurrenz, fordert aber gleiche Ausgangsbedin­gungen: Die kommu­nalen (z.B. KVHS) und sonstigen (z.B. Kirchen, Kammergemein­schaft, IHK, HWK etc.) Er­wachsenen­bildungseinrichtungen, die jetzt auf diesen Markt drängen, haben durchweg eine eigen­ständige Grundfinanzie­rung, auf deren Basis sie auch den Schulen Fortbil­dung anbieten können.

Es ist also eine realitätsferne Annahme, dass Lehrerfortbildung durch freie Anbieter preisgünstiger zu finanzieren ist. Es findet allenfalls eine Kostenverlagerung statt - dies v.a. auf die kommunale Ebene und interessierte Privatanbieter, die sich über Lehrerfortbildung Einfluss versprechen. Nach den bisherigen Erfahrungen, die das RPZ in der Kooperation mit freien Anbietern gemacht hat, ist sogar von einer erheblichen Kostensteigerung auszugehen, die von den zu erwartenden Budget­mitteln der Schulen nicht einmal ansatzweise aufzufangen sein wird. Die immensen Mittel, die in die zentralen Modellversuche des jetzigen Innovationsreferats geflossen sind (z.B. Qualitätsnetzwerke), machen diese zu erwartende Kostensteigerung ebenfalls plausibel.

 

 3.  Im Sinne einer "schöpferischen Zerstörung" à la Josef Schumpeter erhofft man sich (bei etwas subtilerer Argu­mentation) offenkundig durch die schlagartige Abschaffung der Regionalen Leh­rerfortbildung und das Vordringen freier Anbieter auch eine neue Entwicklungsdynamik und neue Perspektiven für angeblich erstarrte bürokratische oder schulische "Schonräume".

Kritik:Die für die Abschaffung der regionalen Lehrerfortbildung federführende Referatsgruppe I "Innovationen" im MK (Leitung: LMR Heinrich-Wilhelm Brockmann) hat - obwohl zuständig - bisher wenig Interesse für die konkrete Praxis dieser Fortbildung gezeigt, die sicherlich von Region zu Region unterschiedlich zu bewerten ist.

Aufgrund ausführlicher Bestandsaufnahmen/Evaluationen steht zumindest fest, dass Lehrerfortbil­dung in Niedersachsen noch nie zugleich so engagiert, schulnah, preisgünstig und mit so großer Akzeptanz betrieben worden ist, wie in den letzten 10 Jahren der dezentrali­sier­ten, regionalisierten Form, bei der Lehrerinnen und Lehrer mit einer halben bis 3/4 Verwaltungs­kraft umfangreiche Pro­gramm- und Maß­nahmenhefte "aus der Praxis für die Praxis" zu­sam­mengestellt haben.

Unter allen Fortbildungsregionen weisen die Sonderformen, das RPZ Aurich und das OFZ Oldenburg, lan­desweit allerdings die größte Reichweite aus: Das RPZ Aurich erreicht pro Jahr bis zu 80 % der re­gionalen Lehrerschaftmit seinen Dienstleistungen, Angeboten und Maß­nahmen! Es gibt keine vergleichbare staatliche oder privatisierte Lehrerfortbil­dung, bei der mit so wenig Finanzmitteln so große Effekte in der Fläche erzielt wer­den.

 

4.   Argumentiert wird weiterhin, dass die gesteigerte "Eigenverantwortlichkeit" der Schulen selbst­verständlich auch die Verantwortung für die eigene Qualitätssicherung und -entwicklung ein­schließen müsse. Hierzu passe kein angebotsorientiertes Fortbildungskonzept, das den Schulen keine Spielräume zu eigenverantwortlicher Gestaltung und Durchführung eines schulischen Fort­bildungskonzepts einräume.

Kritik: Vor der Regionalisierung überwog in der Lehrerfortbildung ein fortbildungsdidaktisch wenig effizienter, hierarchisch geprägter "Instruktionsansatz" zum Ausgleich vermeintlicher "Defizite", also eben diese angebotsorientierte Fortbildung! Erst die regionalisierte Lehrerfortbildung hat sich um die Ablösung dieser "Defizitfortbildung" durch ein schulnahes, wesentlich nachhaltigeres, ent­wicklungs­orientiertes Moderations- und Netzwerkkonzept in kol­legialer Selbstorganisation bemüht. Wenn regionale Einrichtungen wie das RPZ-Koordinationsbüro oder das Oldenburger OFZ als verläßliche Mode­ratoren wegrationalisiert werden, ist ein Rückfall vorprogrammiert.

Regionale Netzwerke, die sich in sehr vielfältigen Formen insbesondere im RPZ und im OFZ zur Stützung der Qualitätsentwicklung von Einzelschulen gebildet haben, sind keine Ad-hoc-Projekt­grup­pen, die sich beliebig ein­richten und wieder abschaffen lassen! Hier droht eine regionale Fortbil­dungskultur zerstört zu werden, deren Effekte in kurzatmiger Zentralisierung, Kommerzialisierung und "Flexibilisie­rung" nicht zu erreichen sind.

Vergessen wird außerdem, dass viele bildungspolitische Initiativen des Landes, zuletzt das GS-Sprachförde­rungsprogramm, nur durch kreative regionale Verstärkung und Umsetzung in den Schu­len zu verankern gewesen sind. Offenkundig sind im MK Erfahrungen nicht mehr abrufbar, die die stark eingeschränkte Steuerbarkeit der niedersächsischen Schulen über zentrale Fortbil­dungskampagnen oder erlassförmige Steuerungsinstrumente belegten, solange diese Steue­rungsinteressen nicht auf regionaler Ebene verstärkt werden. Zu dieser "Verstärkung" ist das RPZ sogar ver­traglich verpflichtet!

 

Schlussfolgerung:

Die Ostfriesische Landschaft muss nach der eingangs zitierten Informationsver­anstaltung vom 9. September auch mit der Kündigung ihrer Lehrerfortbildungsvereinbarung mit dem Land Niedersachsen rechnen. Wie radikal hier vorgegangen wird, ist daran zu erkennen, dass man selbst in den Niederlanden vergleichbare Einrichtungen wie das RPZ-Koordinationsbüro (z. B. SA­BOG) nicht einfach abgeschafft, sondern ihnen eine Über­gangsfrist von bis zu acht Jahren einge­räumt hat, in der sie sich auf die Kommerzia­lisierung ihrer Dienstleistungen einrichten konnten. Unter den bisher erkennbaren Bedingungen werden dem RPZ-Koordinationsbüro solche "Umstellungs­chancen" nicht eingeräumt. Wir werden trotzdem Mittel und Wege finden, dieser keineswegs "schöp­ferischen" Zerstörung einer gewachsenen Fortbildungskul­tur zu begegnen!

 

 

Dr. Dirk Gerdes,                                                                                                           (Stand:10/2003)

Leiter des RPZ Aurich