Dirk Gerdes
Regionale Strukturkonferenz Ost-Friesland
In: Jörg-Friedrich Mayer-Ries (Hrsg.): Kooperation in der Region – Ein Ansatz für nachhaltige Entwicklung. Loccumer Protokolle 71/97. Loccum 1998, 226-235 (vergriffen)
I. Grundlagen, Entwicklungsgeschichte
Die Regionale Strukturkonferenz Ost-Friesland hatte mit der Ostfrieslandkonferenz, die 1987 auf Initiative des damaligen Wirtschaftsministers W. Hirche aus der Taufe gehoben wurde, bereits einen Vorläufer. Zu ihr gehörten die Landkreise Aurich, Leer, Wittmund, die Stadt Emden, die Ostfriesische Landschaft, die Industrie- und Handelskammer für Ostfriesland und Papenburg, die Handwerkskammer für Ostfriesland und die Fachhochschule Ostfriesland, wobei letzterer die Moderation übertragen wurde. Ihr räumlicher Wirkungsbereich erstreckte sich auf das Gebiet der drei Landkreise und der Stadt Emden, das historische Ostfriesland.
Die Ziele der Ostfrieslandkonferenz waren die Mobilisierung des endogenen Potentials und die Entwicklung kooperativer Handlungsmodelle. In fünf Arbeitsgruppen - regionale Entwicklungspolitik, Infrastruktur, Technologiepolitik, Fremdenverkehr und Kulturpolitik - wurde ein Ergebnisbericht erstellt, der neben Elementen einer Bestandsaufnahme und analytischen Überlegungen insbesondere Zielvorstellungen, die auf eine Sicherung und Verbesserung der wirtschaftlichen Lage und Entwicklung in Ostfriesland gerichtet sind, enthielt. In welcher Form diese zu erreichen wären, wurde durch einen umfassenden Maßnahmenkatalog, der 1989 vorgelegt wurde, erfaßt.
Nach Übergang der Regierungsverantwortlichkeit in Niedersachsen im Jahr 1990 auf eine Rot-Grüne-Koalitionsregierung wurde in dem gemeinsam formulierten Koalitionspapier vereinbart, die Regionalisierungen in Niedersachsen voranzutreiben. Als erste Regionalkonferenz wurde am 16. 12. 1991 die Regionale Strukturkonferenz Ost-Friesland gegründet, der weitere Regionalkonferenzen folgten. Die räumliche Ausdehnung der Regionalen Strukturkonferenz Ost-Friesland wurde mit der Einbeziehung des Landkreises Friesland und der Stadt Wilhelmshaven weiter gefaßt als der räumliche Zuschnitt der Ostfrieslandkonferenz. Um dies auszudrücken, wird im Zusammenhang mit der Strukturkonferenz Ost-Friesland der Begriff Ost-Friesland zweigeteilt und mit einem Bindestrich zusammengefügt.
II. Kooperationsstrukturen
Wie schon bei der Ostfrieslandkonferenz wurden mit Gründung der Regionalen Strukturkonferenz Ost-Friesland keine festen, institutionalisierten Strukturen mit aufwendigem Verwaltungsapparat installiert. In einem gemeinsamen Papier der Initiatoren (Gebietskörperschaften) sind grundlegende Absprachen über Inhalt und Organisation der Regionalen Strukturkonferenz formuliert. Als Organe sind der Koordinierungsausschuß sowie eine Geschäftsführung eingerichtet.
Der Koordinierungsausschuß besteht aus 24 Mitgliedern. Die Gebietskörperschaften stellen jeweils einen politischen Repräsentanten, in der Regel den Landrat bzw. der Oberbürgermeister, sowie die Hauptverwaltungsbeamten. Hinzu kommen zwei Vertreter der Fachhochschulen Ostfriesland und Wilhelmshaven, ein Vertreter der Landschaften, zwei Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes, ein Vertreter der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft, drei Vertreter der Selbstverwaltungskörperschaften der Wirtschaft und drei Vertreter von Umweltverbänden.
Das Besondere an der Besetzung des Koordinierungsausschusses ist, daß die Stimmen sich zu 50 % auf die Gebietskörperschaften verteilen und daß erstmals Vertreter von Umweltverbänden mit Stimmrecht in das oberste Organ einer regionalen Strukturkonferenz aufgenommen wurden. Weiterhin wurde vereinbart, daß durch einstimmigen Beschluß weitere Mitglieder aufgenommen werden können. Hiervon wurde in der Folge allerdings noch kein Gebrauch gemacht.
Vorsitzender des Koordinierungsausschusses ist ein Landrat oder ein Oberbürgermeister. Dabei ist ein stellvertretender Vorsitzender aus dem Kreis der kommunalen Mitglieder zu wählen, ein zweiter aus dem Kreis der nichtkommunalen Mitglieder. Die Wahlzeit beträgt 2 Jahre. Gemeinsame Maßnahmen sind mit der Mehrheit der Mitglieder des Koordinierungsausschusses zu beschließen. Maßnahmen, die ein Mitglied ausführen muß, können nur mit dessen Zustimmung beschlossen werden.
Für die laufende Aufgabenwahrnehmung sowie die Vorbereitung der Arbeit des Koordinierungsausschusses wurde eine Geschäftsführung eingesetzt, die die Regionale Strukturkonferenz ebenfalls nach außen vertritt. Als Geschäftsführer wurde aus der Reihe der kommunalen Mitglieder der Oberkreisdirektor des Landkreises Aurich gewählt. Hier, beim Landkreis Aurich, wurde auch ein sogenanntes Regionalbüro eingerichtet, welches dem Amt für Wirtschaftsförderung zugeordnet ist.
Die Finanzierung der Regionalen Strukturkonferenz wird durch Umlagen der Kommunen und durch Zuschüsse Dritter gesichert. Die Regionale Strukturkonferenz stellt hierzu einen eigenen jährlichen Haushalt auf, welcher die mit dem Regionalbüro verbundenen Ausgaben ausweist sowie die zur Bestreitung dieser Ausgaben notwendigen Umlagen.
Die Regionale Strukturkonferenz kann nur durch Zweidrittelmehrheit der Mitglieder aufgelöst werden. Jedes Mitglied kann jedoch die Mitarbeit in der Regionalen Strukturkonferenz mit angemessener Frist beenden.
III. Handlungsfelder
Zweck der Regionalen Strukturkonferenz Ost-Friesland ist die Entwicklung der Region zwischen Ems und Jade durch Kooperation, Koordination und intensive Kommunikation sowie die Wahrnehmung gemeinsamer Interessen gegenüber Bund und Land und gegenüber der Europäischen Union. Dabei nennt die Kooperationsvereinbarung explizit als Arbeitsfelder die Regionalentwicklung und Raumordnung, Verkehrsinfrastruktur/ÖPNV, Landwirtschaft, Abfallwirtschaft, Fremdenverkehr, Kulturarbeit, Technologietransfer sowie Naturschutz und Landschaftsplanung.
Zur Erreichung der Ziele wurden Arbeitsgruppen gebildet, deren inhaltliche Aufgabenstellung jeweils mit einem der zuvor genannten Arbeitsfelder verbunden war. Die Arbeitsgruppen wurden zumeist von einem Hauptverwaltungsbeamten geleitet und setzten sich aus Vertretern der Mitwirkenden im Koordinierungsausschuß sowie externen Fachleuten zusammen. Dabei handelte es sich um offene Arbeitsgruppen, in denen die beteiligten Gruppen mit Vertretern ihrer Wahl mitwirken konnten.
Die Arbeitsgruppen zu den einzelnen Handlungsfeldern haben mit durchaus unterschiedlicher Qualität ihre Themenfelder erarbeitet und Entwicklungsvorschläge unterbreitet. Insgesamt wurden hierfür annähernd zwei Jahre benötigt, in denen den Mitgliedern des Koordinierungsausschusses immer wieder Zwischenberichte zum Stand der Arbeit vorgelegt wurden (vgl. Dokumentationsbeispiel der OZ).
Die Schlußberichte betrachteten zumeist stringent das einzelne Handlungsfeld und gaben hierfür Handlungsempfehlungen ab. Konfliktträchtige Fragen wurden z.T. durch formale Abstimmung (z.B Einrichtung einer Berufsakademie) entschieden, z.T. ausgeklammert. Verzahnungen zwischen den Handlungsfeldern wurden dabei nur gelegentlich beachtet und mit in die Überlegungen einbezogen.
Hier setzte die Arbeitsgruppe zum Thema Regionalentwicklung und Raumordnung ("Standortprofil") an, die diese Verknüpfung zwischen den einzelnen Handlungsfeldern herbeiführen sollte. In einzelnen Handlungsfeldern (ÖPNV, Kultur), in denen schon vor Einrichtung der Strukturkonferenz entsprechende Absprachen vorlagen, wurde parallel bereits an der Umsetzung konkreter Projekte weitergearbeitet.
IV. Regionales Entwicklungskonzept Ost-Friesland
Gleich zu Beginn der Aufnahme der Arbeiten der einzelnen Arbeitsgruppen hat die AG für Regionalentwicklung und Raumordnung ihre Aufgabe darin gesehen, die vielfältigen Arbeitsergebnisse der einzelnen Arbeitsfelder zusammenzufassen und aufeinander abzustimmen. Dabei wurde auch die Frage der Notwendigkeit eines Regionalen Entwicklungskonzeptes diskutiert. Die Meinungen hierzu waren sehr facettenreich, von Feststellungen wie "das haben wir doch alles, wenn auch oftmals sehr verstreut, und müssen es nur noch zusammenfassen" bis hin zu Vorschlägen einer Erstellung eines Regionalen Entwicklungskonzeptes unter Hinzunahme externer Moderatoren wurde das Thema mit sehr unterschiedlichen Auffassungen und Meinungen diskutiert. Im Ergebnis wurde mehrheitlich beschlossen, mit eigenen Kräften auf der Grundlage des regionales Fachwissens sowie vorhandener Untersuchungen zu den verschiedensten Fragestellungen in der Region ein regionales Entwicklungskonzept zu fertigen.
Dieses Konzept sollte von den Mitgliedern der Arbeitsgruppe Regionalentwicklung und Raumordnung erarbeitet werden. Schon bald zeigte sich, daß die Arbeit in der relativ großen Runde der Arbeitsgruppe nur sehr schwer vorankam. Als die Arbeit stagnierte, entschloß man sich, sie im kleinen Kreise von Vertretern der Kommunen und der Bezirksregierung Weser-Ems, die ihre Mithilfe angeboten hatte, fortzusetzen oder besser: intensiv zu beginnen. Die REK-Projektgruppe setzte sich aus zwei Vertretern des Landkreises Friesland (hier lag der Vorsitz der Arbeitsgruppe Regionalentwicklung und Raumordnung) und des Landkreises Aurich sowie zwei Vertretern der Bezirksregierung Weser-Ems zusammen.
Die REK-Projektgruppe nahm die Arbeitsergebnisse der AG's zu den einzelnen Arbeitsfeldern auf und erarbeitete das im Mai 1997 vorgelegte Regionale Entwicklungskonzept Ost-Friesland. Im Aufstellungsverfahren wurden verschiedene Entwürfe präsentiert, die von den regionalen Akteuren kritisch begleitet wurden. So waren zeitweise mehr als hundert Vertreter aus der Region in Arbeitsgruppen und Projektstäben an der inhaltlichen Ausgestaltung beteiligt.
Durch die starke Einbindung zahlreicher Akteure in der Region konnte ein Grundkonsens über die Orientierung der Entwicklung im Planungsraum sowie ein hohes Maß an Identifikation erreicht werden.
Das Regionale Entwicklungskonzept Ost-Friesland strukturiert sich in verschiedene Abschnitte unterschiedlicher Abstraktion: einem Leitbild, dem Orientierungs- und Handlungsrahmen, einer teilräumliche Differenzierung sowie erste Projekte. Den Teilen sind allgemeine Ausführungen (Ausgangsbedingungen) vorweg und ein separater Anlagenteil (Strukturbericht) nachgestellt. Der Teil "Projekte" wird gegenwärtig auf der Grundlage des Regionalen Entwicklungskonzepts in der Region erarbeitet.
Mit dem Leitbild definiert die Region ihr regionalpolitisches Selbstverständnis. Auf der Grundlage des Zieldreiecks Ökonomie, Ökologie, soziale Umwelt, Lebensqualität werden im Rahmen eines integrativen Ansatzes in den Leitaussagen Profile und Notwendigkeiten künftiger einzel- und gesamträumlicher Vorstellungen formuliert.
Der Orientierungsrahmen greift die Leitaussagen des Leitbildes auf und benennt die Orientierungsfelder, die der Konkretisierung der Leitaussagen dienen. Der Handlungsrahmen beinhaltet die Erarbeitung der gesamträumlich relevanten Handlungsfelder, aus denen die konkreten Projekte abzuleiten sind. Weiterhin werden Aussagen des Orientierungs- und Handlungsrahmens im Rahmen einer teilräumlichen Differenzierung weiter konkretisiert.
Leitbild, Orientierungs- und Handlungsrahmen werden im Bereich der Ökonomie in den Handlungsfeldern Gewerbe und Industrie Dienstleistungen, Hafenwirtschaft, Fremdenverkehr, Energie, Landwirtschaft, technische Infrastruktur (Verkehrsinfrastruktur, Abfall, Abwasser, Gewerbeflächen) und Qualifikation bestimmt. Im Bereich der Ökologie werden Aussagen zu den Natur- und Kulturlandschaften sowie den natürlichen Ressourcen getroffen. Unter sozialer Umwelt/Lebensqualität werden inhaltliche Ausführungen zur sozialen Infrastruktur und Kultur gemacht.
Wie bereits erwähnt, befindet sich die Region gegenwärtig in der Projektphase. Vereinbart wurde, daß die Umsetzung der Projekte auf der Grundlage einer Bewertung erfolgen soll, die entsprechend dem Grad der Wichtigkeit, der zeitlichen Priorität und der regionalen Umsetzungsmöglichkeiten erfolgt.
V. Schlußbetrachtung und Zusammenfassung
Zum gegenwärtigen Stand der Arbeit der Regionalen Strukturkonferenz Ost-Friesland ergeben sich in einer Nachbetrachtung der letzten Jahre die unterschiedlichsten Erfahrungen und Erkenntnisse.
Anfänglich war bei allen Mitwirkenden sowie der Öffentlichkeit eine hohe Erwartungshaltung vorhanden. Die Mitwirkenden waren überwiegend hoch motiviert. Spektakuläre Erfolge wurden nicht verzeichnet. Die hohen Erwartungshaltungen wurden daher schnell zurückgenommen und wichen einer realistischen Einschätzung der Möglichkeiten einer Zusammenarbeit. Auch ließ die anfängliche starke Motivation nach, insbesondere nach Vorlage der Abschlußberichte zu den einzelnen Arbeitsfeldern wurde dies spürbar (Selbstauflösung von Arbeitsgruppen). Die Abstimmungsarbeit zwischen den regionalen Akteuren verlagerte sich zunehmend auf den Koordinierungsausschuß und die REK-Projektgruppe.
Dabei wurden nennenswerte Erfolge, etwa die gemeinsame ÖPNV-Planung in der Region, die Intensivierung der Zusammenarbeit im Bereich der Marketingaktivitäten im Fremdenverkehr, der Gründung von gemeinsamen Einrichtungen (Kulturagentur, Berufsakademie, Technologiepool, Regionalkundliche Gastlichkeit u.a.) viele gemeinsame Stellungnahmen zu wichtigen und bedeutenden Fragen der Region und noch mehr Kooperationen im kleineren Maßstab erzielt.
Die Zusammenarbeit führte insbesondere bei den Gebietskörperschaften zu einer deutlichen Verbesserung des gegenseitigen Verständnisses sowie zu der Erkenntnis, daß oftmals gleichartige Probleme vorhanden sind. Die Stärkung der Zusammenarbeit und des Wir-Gefühls sind weitere positive Aspekte. Heute ist es möglich, über das persönliche Kennenlernen unter Nutzung der kurzen Wege schnelle Abstimmungen zu erzielen, etwa auf EU-Ausschreibungen, die oftmals ein gemeinsames Handeln erfordern. Hier wurde als Ergebnis der Zusammenarbeit die Einrichtung eines EURO-OFFICE für die gesamte Weser-Ems-Region wesentlich mit initiiert und umgesetzt. In grundlegenden Fragen tritt die Region geschlossen mit ihren Interessen nicht nur gegenüber der EU, sondern auch gegenüber Land und Bund auf.
Im Bereich der Umsetzung von gemeinsamen Maßnahmen wurde mit gutem Erfolg die Federführung umschichtig auf einzelne kommunale Mitglieder, aber auch z. B. auf IHK (Berufsakademie) oder auch die Ostfriesische Landschaft (Kulturagentur) übertragen. Dabei soll nicht verhehlt werden, daß die Übertragung von gemeinsamen Aufgaben an ein einzelnes Mitglied für dieses zusätzliche Aufgaben darstellen, für die nicht immer genügend Personal und Sachressourcen für eine zeitgerechte Umsetzung vorhanden sind. Dies ist ein Nachteil, der bewußt in Kauf genommen wurde, um die Organisationsstruktur so schlank wie möglich zu halten. Allein eine schlagkräftige Geschäftsstelle mit erheblichen Personal- und Sachaufwand wäre in der Lage, schneller die gemeinsam formulierten Aufgaben zu bewältigen.
In der Gesamtbetrachtung bleibt festzustellen, daß der Regionalisierungsprozeß in Ostfriesland deutlich Früchte getragen hat. Die Lösung der gemeinsamen Probleme wurde ein ganzes Stück vorangebracht. Das Miteinanderreden und -handeln wurde intensiviert und verbessert, die Geschlossenheit der Region nach innen und außen gefestigt. Eine Rückkehr zum weitestgehend isolierten Einzelhandeln in der Zeit vor 1987, der Gründung der Ostfrieslandkonferenz, ist nicht denkbar und von keinem gewollt, auch nicht von den Kritikern des Regionalen Entwicklungskonzepts
Aber erst in der sich jetzt anschließenden Projektphase wird sich zeigen, ob die unterschiedlichen Akteure (und Interessen) der Region über das Instrument des Koordinierungsausschusses auch weiterhin auf ein gemeinsames Vorgehen zu verpflichten sind. Entscheidende Voraussetzung hierfür wird eine entsprechende Gestaltung der Förderpolitik von Land, Bund und EU bleiben.
Erst unter dieser Voraussetzung könnten sich dann auch innovative Beteiligungs- und Kooperationsprozesse innerhalb der Region verstärken, die ohne externe Förderanreize tragfähig bleiben.