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Thesen zur Regionalisierung der Bildungslandschaft

 

 

Dirk Gerdes:

Fakten, Argumente und Thesen zur Regionalisierung der Bildungslandschaft(en) in Niedersachsen

Vorlage zur Sitzung des Bildungsausschusses der Ostfriesischen Landschaft vom 8.05.2003

 

1. Der Bildungsbereich gehört zur den gesellschaftlichen Bereichen, die als letzte von der Regionalisierungsdiskussion der vergangenen 30 Jahre er­faßt worden sind. Aber: Warum sollte hier nicht gelten, was in anderen Be­reichen diskutiert wurde und wird: Regionen als Kommunikationsraum, Re­gionen als Verständigungs-, Koordinations- und Handlungsebene jenseits administrativer Strukturen, "Regionen als Innovationsmotoren", etc.?

 2. In der Verteilung von hochgradig verregelten und durchbürokratisierten Kompetenzen und Zuständigkeiten im Bildungswesen hat sich seit dem Zweiten Weltkrieg von der internationalen bis hinunter zur lokalen Ebene kaum et­was verändert. Entsprechend träge reagiert das Bildungssystem auf Innova­tionsdruck aus der Gesellschaft bzw. wechselseitigen Innovationsanforde­rungen der unterschiedlichen Zuständigkeitsebenen.

 3. Aus der internationalen Diskussion (v.a. Kanada, Finnland) drangen insbe­sondere über die Bertelsmann Stiftung und über Reformkonzepte in einzel­nen Bundesländern (v.a. NRW: 1995: Gutachten der Bildungskommission "Zukunft der Bildung - Schule der Zukunft", "Schule und Co" im Kreis Her­ford von 1997-2002) sowie auf Bundesebene (Projekt "Lernende Regionen" seit 2000) neuere Regionalisierungsansätze auch in die niedersächsische Bildungsdiskussion vor: "Empfehlungen des Bildungsrates beim Minister­präsidenten des Landes Niedersachsen" vom August 2000. Bemerkenswert ist hierbei, dass die frühen Regionalisierungsansätze und -projekte des Kul­tusministeriums unter Wernstedt (v.a. Regionalisierung der Lehrerfortbil­dung!) hierbei kaum zur Kenntnis genommen wurden.

 4. Die durch internationale Vergleichsuntersuchungen (TIMS, PISA) angeheizte Qualitätsdiskussion hat zu einer experimentellen Vielfalt von zentral ge­steuerten Reformprojekten geführt, die nur noch von Insidern zu überblic­ken ist. Regionale Bezüge unterschiedlichen Zuschnitts zeigen insbeson­dere die Projekte "Regionen des Lernens" (BBSen als innovative, regionale Kompetenzzentren) und "Qualitätsentwicklung in regionalen Netzwerken" (Verbundsysteme von Schulen unterschiedlicher Schulform). Die meisten dieser Reformprojekte sind nicht aufeinander abgestimmt und ihre kumula­tive oder nachhaltige Wirkung wird öfter bezweifelt als bestätigt. Ihre Ver­bindungen zur regionalisierten Lehrerfortbildung sind eher zufällig oder überaus locker konstruiert. Ein gemeinsamer Antrag mehrerer ostfriesi­schen BBSen, im regionalen Verbund unter Koordination des RPZ in das Programm der "Regionen des Lernens" aufgenommen zu werden, paßte nicht in das Regionsverständnis, das hier mehr oder weniger zufälliger­weise zugrunde gelegt wurde.

 5. Vernachlässigt wurden bei diesen Reformansätzen die unterschiedlichen Möglichkeiten, Ressourcen und v.a. auch Interessen auf regionaler Ebene, die nicht erst seit heute sehr unterschiedliche Bildungslandschaften oder "regionale pädagogische Kulturen" begründen. Deren Stärkung, z. B. durch Einrichtung regionaler Bildungskonferenzen, hatte in den oben genannten "Empfehlungen des Bildungsrates beim Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen" vom August 2000 noch im Mittelpunkt gestanden.

 6. Eine Stärkung regionaler Bildungslandschaften darf allerdings nicht bedeu­ten, dass regionale Ungleichheit unter dem Deckmantel regionaler Vielfalt konserviert und fortgeschrieben wird. Solange aber jedes zentral gesteuerte Reformprojekt - wenn überhaupt - sein eigenes Regionalitätsmodell pflegt und gleichzeitig auf der Ebene der Gebietskörperschaften keine regional abgestimmte politische Interessen- und Zieldefinition regionaler Bildungs­planung vorliegt, bleibt Ungleichheit hinter Vielfalt verborgen.

 7. Indikatoren dieser Ungleichheit sind z.B.:

  • die flächendeckende Reichhaltigkeit des Angebots unterschiedlicher Schulformen (inkl. Ganztagsschulen),
  • die Verteilung der Schulabschlüsse auf die unterschiedlichen Schulfor­men,
  • die finanzielle, sächliche und personelle Ausstattung der Schulen und Bildungseinrichtungen sowie die unterschiedlich optimierte Ausnutzung von Infrastruktur und know-how durch Mehrfachnutzung und Vernetzun­gen zwischen schulischen und außerschulischen Bildungsträgern,
  • die Vernetzung und Abstimmung zwischen allgemein bildenden und be­rufsbildenden Schulen,
  • der Verbleib oder die Abwanderung hoch qualifizierter Schulabsolventen und damit die regionale Qualifikationsstruktur der Beschäftigten,
  • das regionale Innovations- und Kommunikationsklima in Politik und Wirtschaft,
  • die Schnelligkeit, Qualität und Intensität des Innovationstransfers insbe­sondere aus der Wissenschaft, etc.

 8. So wenig die Landes- und Bundesebene aus der Verpflichtung zur Wahrung möglichst gleichwertiger Lebensverhältnisse zu entlassen sind, so deutlich muß aber auch gesagt werden, dass Bildungsplanung integraler Bestandteil von Regionalentwicklung ist. Hieraus resultiert zugleich die Verpflichtung der Gebietskörperschaften, zunehmend Verantwortung auch für die öffentli­che Diskussion, Klärung und Umsetzung regionaler Bildungsziele zu über­nehmen.

 9. In den zitierten "Empfehlungen des Bildungsrates beim Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen" vom August 2000 wird hierfür ein "Stufenplan zur Entwicklung regionaler Bildungslandschaften" und ein umfangreiches Instrumentarium (Regionale Entwicklungsbüros, Regionale Steuergruppen, Innovationsfonds, Regionaler Entwicklungsfonds) vorgeschlagen. Ob diese Empfehlungen allerdings sinnvoll sind, sollte der Meinungs- und Willensbil­dung der Regionen überlassen werden.

 10. Falls der anstehenden Schulstrukturreform auch, wie angekündigt, eine Schulverwaltungsreform folgen sollte, sind aus regionaler Sicht frühzeitig und koordiniert eigene Vorstellungen in die Diskussion zu bringen. Dies gilt insbesondere bei sich ggf. abzeichnenden Zentralisierungstendenzen.